Nach dem Konzernbruder, dem Hyundai IONIQ5, ist der EV6 von Kia sicherlich eine der mit größter Spannung erwarteten Neuheiten der Saison. Auch hier ist die gemeinschaftliche Plattform E-GMP die Basis, doch schon rein optisch könnten die Autos kaum unterschiedlicher sein.
Mit dem EV6 bringt Kia ein Modell mit einem reichweitenstarken Antrieb, 800-Volt-Schnellladefähigkeit und frischem Design in den Crossover-SUV-Markt. Der EV6 ist der erste Kia, der auf der neuen, speziell für batteriebetriebene Elektrofahrzeuge konzipierten Plattform basiert. Der KIA EV6 teilt sich diese Plattform mit dem IONIQ 5, verkörpert aber einen ganz anderen Charakter.
An der Fahrzeugfront wurde das Kia-typische „Tigergesicht“ für die digitale Ära weiterentwickelt. Einen Teil des neuen „Digitalen Tigergesichts“ soll das elegante, modern gestaltete Tagfahrlicht mit einem dynamischen, „sequenziellen“ Lichtmuster bieten. Darunter befindet sich ein flacher Lufteinlass, der optisch die Breite der Fahrzeugfront unterstreicht und zudem die Hightech-Ausstrahlung verstärken soll. Die Seitenansicht zeigt eine Crossover-inspirierte Ästhetik, die modern, elegant und aerodynamisch sein soll. Eine Charakterlinie, die das Profil optisch verlängert, läuft unten an den Türen entlang und schwenkt dann nach oben zu den hinteren Radläufen.
Am Heck, dessen Design auch auf maximale Aerodynamik abzielt, sind in die sich verjüngenden C-Säulen hochglanzschwarze Einsätze integriert, die den Eindruck erwecken, als würde sich das Fensterglas hier fortsetzen. Oberhalb davon befindet sich ein auffälliger, flügelartiger Dachspoiler. Er leitet den Luftstrom zu einem tieferen Spoiler, der den oberen Abschluss der einzigartigen Rücklichteinheit bildet.
Großer Innenraum dank Elektrobasis
Der Innenraum präsentiert sich aufgeräumt, modern aber mit guten Tugenden. Das Innenraumdesign des KIA profitiert stark von der neuen Plattform E-GMP. Trotz der kompakten äußeren Dimensionen verfügt der EV6 aufgrund seines Radstands von 2,90 Metern über ein ähnliches Raumangebot wie ein Mittelkasse-SUV. Eines der auffälligsten Elemente im Innenraum ist ein nahtloser, gewölbter Hightech-Infotainmentbildschirm. Die schlichte Formensprache dieses Displays und das schlanke Armaturenbrett geben dem Interieur eine offene Atmosphäre.
Variantenreich – von Vernunft bis Volldampf
Beim EV6 haben die Käufer die Wahl zwischen mehreren vollelektrischen Antriebskonfigurationen, darunter zwei Batterievarianten für die Langstreckenversion mit 77,4 kWh Kapazität und das Modell mit Standard-Reichweite, bei dem 58,0 kWh Kapazität ausreichen dürfen. Der EV6 GT Line wird mit beiden Akkuvarianten angeboten, die GT-Version ausschließlich mit der leistungsstärkeren Batterie. Der EV6 2WD mit 77,4-kWh-Akku hat eine kombinierte Reichweite von über 510 Kilometern nach WLTP. Er verfügt über einen 168 kW starken Elektromotor, der die Hinterräder antreibt.
Der Hecktriebler mit dem kleineren Akku verfügt über einen Elektromotor mit 125 kW Leistung. Der EV6 AWD mit Allradantrieb und Standardbatterie wird von einem 173-kW-Elektromotor angetrieben, der 605 Nm Drehmoment zur Verfügung stellt. So motorisiert, beschleunigt er innerhalb von 6,2 Sekunden auf Tempo 100.
„430 kW und ein Drehmoment von 740 Nm – Die Topvariante GT reißt am Asphalt“
Es darf gerne etwas mehr sein? Okay! Dann gibt es noch eine Allradversion mit 239 kW Leistung und ebenfalls 605 Nm Drehmoment. So geht es innerhalb von 5,2 Sekunden auf Tempo 100. Als Topmodell lockt dann noch der KIA EV6 GT. Mit großer Batterie, zwei Motoren, Allradantrieb, einer Leistung von 430 kW und einem Drehmoment von 740 Nm ist er gewissermaßen der Überflieger des Programms. Er beschleunigt innerhalb von 3,5 Sekunden auf Landstraßentempo und überholt auf der Autobahn mit einer Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h so manchen Sportwagen.
Ach ja, der EV6 kann Anhänger ziehen! Mit einer maximalen Anhängelast von bis zu 1,6 Tonnen lässt der Koreaner so manchen Mitbewerber in dieser Disziplin alt aussehen. Eine Stützlast von 75 kg ist ebenfalls zeitgemäß, ein Fahrradträger und zwei Pedelecs sollten kein Thema für den EV6 sein.
Strom schnell rein, aber auch raus
Was kann der Kia EV6, was andere nicht können? Den Akku in nur 18 Minuten zu 80 Prozent laden! Das ist das Verdienst der 800-Volt-Technik, die höhere Ladegeschwindigkeiten ermöglichen soll. Wenn wir den EV6 in die Hände bekommen, werden wir selbstverständlich überprüfen, ob dieser Vorteil nur auf dem Papier besteht oder ob die Werte auch real so gut sind, wie versprochen.
„Vehicle2Load klingt technisch, powert aber Partys oder im Notfall auch das Haus“
Dazu gesellt sich auch „Vehicle2Load“. Über diese Funktion, die Strom mit einer Leistung von bis zu 3,6 kW liefert, können zum Beispiel ein 55-Zoll-Fernseher und eine mittelgroße Klimaanlage gleichzeitig bis zu 24 Stunden lang betrieben werden. Das geschieht übrigens nicht – wie bei anderen Fahrzeugen – über eine Schuko-Steckdose im Inneren, sondern über einen Adapter, der an den CCS-Port angedockt wird.
Die Preise? Verträglich
Was kostet der Kia EV6? Los geht es ab 44.990 Euro. Wählt man die GT Line, welche serienmäßig bereits mit der großen Batterie ausgestattet wird, beträgt die unverbindliche Preisempfehlung 54.990 Euro. Die Top-Version, sprich der KIA EV6 GT, startet ab 65.990 Euro, lässt allerdings noch ein wenig auf sich warten. Die Auslieferung des EV6 beginnt bereits im Herbst 2021, die Auslieferung der GT-Version aufgrund des späteren Produktionsstarts erst im Winter 2022.
Erstkontakt – Sitzprobe im KIA EV6
In einem Fotostudio in Wiesbaden stand der EV6 in der Basisvariante zum Einsteigen bereit. Doch zunächst einmal nähern wir uns dem Koreaner natürlich von außen. Die markante Front, von den Entwicklern liebevoll als Tiger Face tituliert, setzt ganz klar auf den Verzicht: Elemente wie ein traditionelle Kühlergrill fehlen. Die Koreaner mögen es nennen, wie sie wollen, wir finden, dass der EV6 ziemlich breit grinst, was er sich angesichts seiner technischen Daten auch leisten kann.
Doch blicken wir weiter: Die Linie, die sich unter der Fronthaube über die markanten LED-Tagfahrlichter durchzieht, findet ihre Fortsetzung in den Flanken. Die versenkten Türgriffe muss man in der Basisversion noch mit der Hand ausklappen, in den höheren Ausstattungen wird das dann beim Entriegeln automatisch erfolgen.
„Die Heckansicht mit dem weit oben verlaufenden Rückleuchtenband ist ziemlich unverwechselbar“
Perspektivwechsel, nähern wir uns dem KIA von hinten. Die Heckansicht mit dem weit oben verlaufenden Rückleuchtenband ist ziemlich unverwechselbar, da sich dieses an den Seiten in einem auffälligen Winkel nach unten faltet. So dürfte garantiert sein, dass man den EV6 aus jeder Blickrichtung schnell erkennt.
Hinten rechts findet sich die motorisch öffnende Ladeklappe mit dem CCS-Anschluss. LEDs geben Auskunft über den Ladezustand, und hier kann man auch den pfiffigen Vehicle2Load-Adapter einstecken, der es ermöglicht, bis zu 3,6 kW Leistung aus der Batterie zu zapfen. Was aus dem Sicherheitsbedürfnis anderer Märkte entstanden ist, auch bei Naturkatastrophen oder Stromausfällen noch eine Energiequelle zu haben, dürfte bei uns wahrscheinlich eher für den Anschluss von Musikbox oder Tischgrill dienen. Auf jeden Fall ist es aber ein netter Zug, dass KIA den notwendigen Adapter gleich mitliefert.
Noch ein nettes Detail: In den markanten Dachspoiler, der essenziell für den guten cW-Wert des KIA ist, haben die Designer zwei Lichter integriert, die beim Öffnen des Fahrzeugs den Hüftschwung bestens in Szene setzen – das Auge fährt ja schließlich mit.
Innenraum
Im Innenraum geht es geräumig zu. Wie viele neu entwickelte Elektroplattformen ist auch der EV6 durch gute Raumausnutzung geprägt. Neben viel Platz für die Passagiere bedeutet das vor allem auch Stauraum in Hülle und Fülle. In der Mittelkonsole des KIA sind zahlreiche Ablagen für Getränke und sonstige Notwendigkeiten sowie die mittlerweile fast obligatorische Induktionsladung fürs Smartphone zu finden. Darunter im „Untergeschoss“ findet sich ein riesiges Fach, das sich ganz nach Gusto mit Handtasche oder auch diversen Technikutensilien füllen lässt. Für Gadgets aller Art gibt es hier auch zwei weitere USB-Lademöglichkeiten.
Hat man im bequemen Sitz platzgenommen, ruht die rechte Hand automatisch dort, wo sich der Startknopf sowie das Drehrad zur Wahl der Fahrstufe finden. Intuitiver geht es kaum, und um die Rekuperationsstufe zu wählen, bleiben dann die Wippen am Lenkrad. Auf dem Armaturenbrett findet sich eine Mischung aus traditionellen Drehreglern und berührungssensitiven Elementen. Das hat den Vorteil, dass man zum Beispiel für die Lautstärke den gewohnten Drehregler nutzen kann, ist hingegen der Modus für die Klimabedienung gewählt, regelt man damit die Temperatur für den Fahrer. Der zweite Regler dient – ebenfalls je nach gewählter Bedienebene – für die Beifahrertemperatur oder zur Titelwahl bzw. Sendersuche oder zum Zoomen in der Kartenansicht. Apropos Titelwahl: In Sachen Audio setzt der EV6 erstmals auf Produkte mit Meridian-Label, wie man sie beispielsweise auch bei Jaguar oder Land Rover findet.
Große Flächen
Die beiden Displays mit sehr ansprechender Auflösung hat KIA sehr gut in einer homogenen Oberfläche verpackt. Während im Fahrerdisplay nur die wirklich relevanten Infos zu sehen sind, wenn auch ein wenig verspielt inszeniert, bietet das zentrale Display einen guten Überblick über Medien und Navigation. Natürlich muss man abwarten, wie sich das Ganze auf der Straße bewährt, unter Studiobedingungen hinterlässt das Infotainment des KIA aber einen ausgezeichneten Eindruck. Wenn später im Jahr die Testfahrten stattfinden, wird sich auch zeigen, wie gut die Navigation die Ladeinfrastruktur integriert. Das Angebot an schnellen HPC-Chargern wächst ja ständig, und als KIA-Kunde hat man zudem auch günstigen Zugriff auf die Infrastruktur von IONITY. Für Besteller bis Ende des Jahres wird diese im ersten Jahr der Nutzung auch frei von Grundgebühren sein.
Aufmerksamkeit verdienen übrigens auch der Kofferraum sowie der Frunk unter der vorderen Haube. Dort vorn lassen sich praktischerweise die Ladekabel verstauen, wobei der Platz in der Allradvariante mit 20 Litern etwas knapper bemessen ist; die reinen Hecktriebler haben vorne mit 52 Litern deutlich mehr Stauraum zu bieten. Im gut beladbaren Kofferraum lassen sich 520 Liter unterbringen. Klappt man die Rücksitzlehnen nach vorne, werden daraus bis zu 1.300 Liter – Respekt. Die Plätze auf der Rückbank sind keinesfalls Plätze zweiter Klasse: Von den satten 2,90 m Radstand merkt man hier eine ganze Menge. Die Beinfreiheit ist ordentlich, das Sitzgefühl gut.
Sauber konstruiert – gut umgesetzt
Insgesamt kann man dem EV6 schon jetzt bescheinigen, dass er in Hinsicht auf Materialität und Qualität nicht enttäuschen wird. Auch wenn das Fahrzeug, das wir in Augenschein nehmen konnten, noch aus der Vorserie stammt und nicht alle Details finalem Stand entsprechen, gibt es nichts zu mäkeln. Was man anfasst, fühlt sich gut an. Das Infotainment reagiert schnell und flüssig, und in Sachen Optik und Verarbeitung dürfte hier alles passen. Man sollte angesichts der schönen Eindrücke zudem nicht vergessen, dass hier ziemlich viel Hightech unter der Karosserie steckt. Die 800-Volt-Technik, die den KIA zum Schnelllader machen soll, muss sich zwar noch in der Praxis beweisen, doch die Voraussetzungen für einen Erfolg in seinem Segment sind allemal gegeben.