Als eine US-Firma vor Jahren begann, ein eigenes Ladenetzwerk aufzubauen, wurde sie zunächst belächelt. Nun kommt NIO mit proprietärem Akku-Wechselsystem und guten Fahrzeugen wie dem brandneuen ET5. Wir würden da als Wettbewerber durchaus mal die Augen offen halten.

Frischer Wind an der Elektrofront. Nach dem ET7 und der SUV-Varriante EL7 kommt NIO nun mit dem spannend eingepreisten ET5 nach Deutschland. Wir konnten den schicken Chinesen rund um Düsseldorf auf die Probe stellen und sind sehr angetan.

 

Das Design

Der Nio ET5 präsentiert sich als absolut mehrheitsfähiges Elektrofahrzeug, das auf Anhieb mit seinem ansprechenden Design überzeugt. Mit einer Länge von fast 4,80 Metern und ausgewogenen 

Proportionen ist der ET5 eine elegante Erscheinung, wenn auch kein „Headturner“. Die Designer aus München haben hier hervorragende Arbeit geleistet, den ET5 wird man sich sicher lange anschauen können.

Die ausdrucksstarke Front des ET5 wird von schmalen Scheinwerfern flankiert, die dem Fahrzeug ein markantes Erscheinungsbild verleihen. Die sanften Rundungen und das schicke Heck hat man schomn andernorts gesehen, doch das muss nicht von Nachteil sein.

 

Auch im Innenraum setzt sich die lässige Gestaltung fort. Hochwertige Materialien und ein sauberes, aufgeräumtes Interieur vermitteln eine Lounge-Atmosphäre, so war das von den Designern auch beabsichtigt. Die versenkten Türgriffe und rahmenlosen Scheiben unterstreichen die moderne Ästhetik des Fahrzeugs. Die Lüftungsdüsen sind so geschickt in das Armaturenbrett integriert, dass sie kaum ins Auge fallen und zugfreie Luftzirkulation ermöglichen.

 

Die Bedienung

Im Zentrum des Interieurs befindet sich ein senkrecht stehendes 12-Zoll-Touch-Display, das fast alle wichtigen Funktionen des Fahrzeugs steuert. Da hat NIO allerdings ein bisschen zu viel des Guten getan, denn selbst die Verstellung der Außenspiegel und des Lenkrades nimmt man hier vor. Erst in der entsprechenden Menüebene kommen dann die Kreuzwippen auf dem Lenkrad zum Einsatz – das ginge durchaus intuitiver. Sei‘s drum, hat man einmal alles eingestellt, ist die Angelegenheit ja dann meist auch erledigt.

 

Oben auf dem Armaturenbrett bzw. in dieses intergiert findet sich der Assistent namens Nomi. Je nach Ausstattung bekommt man „nur“ einen integrierten, lichtumrandeten Lautsprecher oder eben die drollige Kugel mit dem animierten Gesicht und Händen. Ein paar Fragen weiß Nomi aus dem FF zu beantworten, bei anderen versagt er kläglich und bei der Eingabe des Navigationsziels beispielsweise tendiert man doch dazu, dieses lieber händisch einzugeben. Wer mit Siri schon Probleme hat, wird mit Nomi eher nicht glücklich. Wer hingegen Kinder hat, sollte unbedingt zur Version mit dem Gesicht greifen – der Nachwuchs wird es lieben und ist stundenlang beschäftigt.

Die Assistenzsysteme

Die Assistenzsysteme sind grundsätzlich eine sehr feine Sache. Das opulente Portfolio an Sensorik, vom Üarksensor über Radar bis hin zum markanten Lidar-System an der Oberseite der Frontscheibe ist mit Sicherheit State-of-the-Art. Seiner vorgegebenen Fahrspur folgt der Nio im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten und somit für einige, wenige Sekunden sehr präzise, bevor er wieder nach einer helfenden Hand am Lenkrad verlangt. Zu autonomem Fahren auf Level 3, das der Lidar-Sensor verspricht, will man sich allerdings noch nicht konkret äußern. In dieser Hinsicht gilt es, auf ein entsprechendes OTA-Update, also eine Softwareaktualisierung über das Onboard-Modem zu warten.

 

Diese werden NIO-Fahrer auch herbeisehnen, um die Warnsignale des ET5 ein wenig großzügiger auslegen zu können. Aktuell macht sich der NIO wirklich bei jeder Überschreitung der erfassten Geschwindigkeit mit einem lauten Ping bemerkbar, selbst, wenn es nur um 1 km/h geht. Fällt man unter das vorgegebene Tempo und überschreitet es dann wieder, ertönt die Warnung erneut. Das mag als erzieherische Maßnahme taugen, stört aber im Alltag ungemein.

 

Der Antrieb

Nach Deutschland kommt der ET5 zunächst ausschließlich in der höchst üppigen Motorisierung mit zwei Elektromotoren und 360 kW Gesamtleistung zur Auslieferung. Der vordere Motor liefert davon 150 kW, der hintere 210. Beide Antriebe liefern zusammen 700 Nm Drehmoment und das katapultiert die 2.140 bzw 2.160 kg schwere Limousine in beeindruckenden 4 Sekunden auf Tempo 100 km/h. Wer bei den beiden Gewichtsangaben stutzt: Der große 100 kWh-Akku macht den NIO in der Tat nur 20 kg schwerer, was an der unterschiedlichen Bauart liegt.

Das Batteriesystem

Bei NIO ist es mit der schlichten Angabe der Kapazitäten nicht getan, denn die Chinesen haben ihren Fahrzeugen ein einzigartiges und leider eben auch die Marke beschränktes Akku-Wechselsystem mit auf den Weg gegeben. Also verlieren wir darüber mal ein paar Worte mehr.

 

Grundsätzlich kauft man den NIO nämlich ohne Batterie und hat dann die Wahl diese gegen eine Einmalzahlung ebenfalls zu erwerben oder sie eben zu mieten. Wer den Kraftspeicher mietet, kommt in den Genuss, die NIO Wechselstationen nutzen zu können. Diese sind so groß wie etwa drei Garagen und kombinieren einen Batterievorrat von 13 Akkus mit der Montageeinrichtung. Kommt ein NIO zum Wechsel, den man übrigens vorreservieren kann und sollte, dann muss der Fahrer das Gefährt nur vor die Wechselstation fahren, den Rest erledigt die Technik von alleine. Der NIO parkt rückwärts ein und wird präzise positioniert und dann leicht angehoben. Dann rumort und wackelt es ein wenig und nach weniger als 5 Minuten rollt man mit einer zu 90 Prozent geladenen Batterie wieder aus der Station.

 

Das bietet, neben dem unschlagbaren Geschwindigkeitsvorteil, noch weitere Pluspunkte. Die Batterien werden langsam und somit schonend geladen. Die ganze Station benötigt deutlich weniger Anschlussleistung als eine Schnelladevorrichtung mit mehreren Plätzen und lässt sich so deutlich unkomplizierter in Betrieb nehmen. Zudem kann der Batterievorrat auch als netzstabilisierendes Element genutzt werden, falls das mal nötig ist. Aktuell kann man seinen NIO ET5 mit einem 75 oder 100 kWh fassendem Akku kombinieren und an den Stationen auch nur gegen ein gleich großes Modell tauschen. Das soll aber in Zukunft durchaus auch flexibler handhabbar sein. Mehr zu den Preisen weiter unten. Zum Redaktionsschluss gab es in Deutschland zwar gerade mal zwei Wechselstationen in Deutschland – eine in Hilden bei Düsseldorf und die andere an der A8 nahe Augsburg. Doch auch das soll sich im Laufe des Jahres massiv ändern.

Der Fahreindruck

Auf unserer rund 100 km langen Teststrecke rund um Düsseldorf schlug sich der ET5 ausgesprochen gut. In der Stadt ist er trotz seiner Dimensionen noch recht handlich und dank der Assistenzsysteme souverän manövrierbar, auch beim Einparken. Auf der Autobahn dann zieht der Antrieb ordentlich an den großen Rädern. Im Sport-Modus geht es beeindruckend schnell voran, währen die anderen Betriebsmodi eher den lässigeren Fahrstil fördern. Die Lenkung ist präzise, aber nicht hektisch und passt insofern zur Bauart. Selbst in Richtung der Maximalgeschwindigkeit von 200 km/h bleibt es erstaunlich ruhig im NIO. Das dürfte auch ein Verdienst des mit 0,24 sehr guten cW-Wertes sein.

 

Zaubern kann man hingegen auch bei NIO nicht: Wer heftig aufs Fahrpedal tritt, katapultiert den Verbrauch in Richtung der 30er-Marke. Mit Beherrschung hingegen sin die 18,g kWh/100 km, die der WLTP-Wert verspricht, durchaus realisierbar. Bei ruhigeren Gangarten kann man auch die exzellente Audio-Anlage, die sogar Sound in Dolby Atmos verspricht, viel besser genießen und das serienmäßige Panoramaglasdach bringt nicht nur Licht ins Fahrzeuginnere, sondern bietet auch spannende Ausblicke.

 

Insgesamt ist der ET5 ein Fall für die Langstrecke, speziell, wenn das Netz an Wechselstationen entsprechend ausgebaut ist. An DC lädt er mit maximal 130 bzw 140 kW und hängt da dem Wettbewerb doch nominell ein wenig hinterher.

 

Die Preise

Ausgesprochen gut durchdacht ist die Preisgestaltung des NIO ET5, denn der Fahrzeugpreis liegt bei 47.500 Euro und somit nach Abzug der Mehrwertsteuer unter 40.000 Euro. Somit ist der NIO in voller Höhe von 4.500 Euro förderfähig. Allerdings muss man dann noch den Akku kaufen bzw. mieten. Für die 75 kWh-Variante fallen dafür 12.000 Euro oder 169 Euro monatlich an. Der 100 kWh-Akku schlägt gleich mit 21.000 Euro oder monatlich 289 Euro zu Buche. Als kleine Erinnerung: Nur mit den Mietmodellen kommt man auch in den Genuss der Wechselstationen.

 

Ohne schlafende Hunde wecken zu wollen, dürfte das Modell steuertechnisch bestens aufgehen. Als Dienstwagenfahrer versteuert man dann 0,25 Prozent des Listenpreises, also der 47.500 Euro, aber eben keinen Cent für die Batterien. Damit positioniert sich der ET5 als wirklich smarter Deal für den Fuhrpark, ist aber natürlich auch eine schicke Wahl als privates Fahrzeug.

 

Fazit

Nach dem ET7 liefert NIO mit dem „kleinen“ Bruder ET5 eine überaus beeindruckende Limousine ab. Das gelungene Design, die technische Vollausstattung, vielversprechende Assistenzsysteme sowie reichlich Dampf lassen eigentlich kaum Fragen offen. Da kann man kleine Mankos wie den übersichtlichen Kofferraum oder die hoffentlich nicht zu lange Wartezeit bis zur „Entschärfung“ der Warntöne leicht verschmerzen.