Langstreckentaugliche Elektroautos lassen sich mit riesigen Akkus realisieren, das kostet aber Ressourcen, Geld und Gewicht. Mercedes hat zur CES 2022 mit der Studie Vision EQXX ein Concept Car vorgestellt, dass einen anderen Weg geht: Maximale Effizienz.

Der Mercedes Vision EQXX soll Verbräuche unter 10 kWh/100 km erzielen und so eine Reichweite von 1000 km bieten

Wir kennen die Diskussion zur Genüge: Elektroautos bieten vermeintlich zu wenig Reichweite, für wirklich lange Distanzen müsste man gigantische Akkus verbauen, was den Preis nach oben treibt und auch in Sachen Umweltbilanz nicht gerade zu Bestnoten verhilft. Dass das auch anders geht, will Mercedes Benz mit der Studie Vision EQXX beweisen. Das schicke Concept Car vereint eine ganze Menge neuer Technologien und Konstruktionskonzepte. Alle mit dem einen Ziel: Ein maximal effizientes Elektrofahrzeug auf die Räder zu stellen.

Der Vision EQXX bietet einen Cw-Wert von unglaublichen 0,17

Wenn lange Strecken zurückgelegt werden sollen, ist der Luftwiderstandsbeiwert, kurz Cw, eine der relevantesten Größen. Je niedriger dieser ist, umso effizienter gleitet das Fahrzeug durch die sich vor ihm befindliche Luft und umso weniger Energie muss dafür aufgewendet werden. Im Falle des Vision EQXX liegt dieser bei 0,17 und damit nochmals deutlich unter den 0,2 des in dieser Hinsicht schon brillanten EQS. Dazu tragen zahlreiche Details bei, beispielsweise die im Vergleich zur Vorderachse geringere Spurbreite hinten, die dafür sorgt, dass die Hinterräder im Windschatten der Vorderräder stehen. Ein technisches Highlight ist die in den Unterboden integrierte Kühlplatte, die die Strömungseigenschaften nicht beeinflusst, dafür aber das Wärmemanagement in weiten Temperaturbereichen sicherstellt. Erst bei extremer Wärme öffnen sich die Kühlluftklappen in der Front und sorgen für noch mehr Frischluft. 

Ab 80 km/h sorgt ein versenkbarer Diffusor am Heck für optimalen Luftwiderstand

Die glattflächige Karosserie des in traditionellem Alubeam-Silber lackierten EQXX integriert die Kuppel des Greenhouse und verläuft dann einem Wassertropfen ähnlich nach hinten. Dort kommt ab 80 km/h ein versenkbarer Diffusor zum Einsatz, um für verminderten Luftwiderstand und erhöhte Fahrstabilität.

Fun-Facts zum Cw-Wert

Den besten Cw-Wert hat ein Pinguin mit 0,05, allerdings ist er zum Transport von Menschen und Waren denkbar ungeeignet.

Ein Radfahrer hat einen Cw-Wert von 0,6 bis >0,8, ein Fußgänger von 0,8 bis 1,2. Bei letzterem ist das allerdings nur bei Sturm relevant.

Mit 0,17 ist der Cw-Wert des EQXX besser als der des EQS (0,20) und eines American Footballs, denn der liegt bei 0,18 bis 0,20. Hören wir da etwa schon die Story eines Superbowl-Werbespots?

Der Vision EQXX bietet revolutionäre Batterietechnik

Auch bei besten Luftwiderstandswerten führt um eine Batterie mit hoher Kapazität kein Weg herum. Genau auf diesem Gebiet will das Team von Mercedes zusammen mit den Spezialisten von HPP, den High Performance Powertrains von Mercedes-AMG, neue Benchmarks setzen. In Sachen Kapazität ist der Akku im EQXX mit dem EQS vergleichbar. Auch hier stehen knapp 100 kWh zur Verfügung. Doch die Entwickler haben die Leistungsdichte um ein beachtliches Maß erhöht. Noch nicht etwa mit vieldiskutierten Werkstoffen wie Feststoffbatterien, sondern durch maximale Ausnutzung des Bauraums. Wo in typischen Batterien der „aktive Part“, also das eigentliche Zellmaterial, von vielen passiven Komponenten, beispielswiese der Verpackung für die Zellchemie, Zuleitungen und Kontakten umgeben ist, soll der Stromspeicher im EQXX hier beste Raumausnutzung bieten. Dazu kommt eine neue Anodentechnik, die in der Lage sind, mehr Energie zu speichern sowie viele Details, die teils aus den Entwicklungen für die Formel E stammen. 

„Die Batterie des Vison EQXX ist bei gleicher Kapazität nur halb so groß wie die des EQS und wiegt 30 Prozent weniger“

In nackten Zahlen bedeutet das, dass er nur halb so groß ist und beeindruckende 30 Prozent weniger wiegt. Die unvermeidliche Elektronik wurde in der sogenannten „OneBox“ direkt an der Batterie untergebracht, wodurch sich auch insgesamt sehr kompakte Maße ergeben. Das komplette Paket wiegt zwar immer noch 495 kg, was allerdings im Vergleich mit anderen Autos als durchaus „schlank“ gelten kann. Schon die 36,8 kWh eines VW e-Up bringen rund 250 kg auf die Waage und eine Tesla Model 3 mit 75 kWh liegt mit 480 Kilo etwa auf dem Niveau des EQXX. Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, dass der Stromspeicher im EQXX mit einer Spannung von über 900 Volt arbeitet, was auch in Sachen Schnelladefähigkeit einiges verspricht. 

Bionische Leichtbaustruktur und nachhaltige Materialien

Wo schon die Batterie so abgespeckt wurde, durften auch die weiteren Komponenten des Vision EQXX nicht nachstehen. Beim Heckboden des Mercedes wurde dafür in einer Simulation ermittelt, welche Teile der Struktur besonderen Belastungen ausgesetzt sind und diese als Leichtmetall- Gussteil ausgeführt. Dieses Verfahren ist der Natur „abgeschaut“, was den schicken Namen BIONEQXX erklärt. Die verbleibenden „Löcher in diesem größten, jemals von Mercedes eingesetzten leichtmetall-Strukturbauteil, werden mit insgesamt 42 „Pflastern“ des israelischen Startups UBQ Materials verschlossen. Das dreibuchstabige Kürzel steht für einen nachhaltigen Kunststoffersatz, der aus Abfällen hergestellt wird. Dazu gehören Lebensmittel- und Gartenabfälle, aber auch Mischkunststoffe, Pappe und sogar Babywindeln. 

Im Interieur des Vision EQXX kommen zahlreiche, nachhaltige Materialien zum Einsatz

Auch der Rest der Materialauswahl lässt die Herzen von Umweltfreunden höher schlagen: Die Türgriffe sind aus einer Biosteel-Faser von AMsilk. Mylo, eine vegane Lederalternative wird aus Pilzen hergestellt und für Details der Sitzpolster verwendet. Als weiterer Lederersatz kommt Deserttex zum Einsatz, ein nachhaltiges Biomaterial auf Kaktusbasis. Im Gegensatz zu seiner Herkunft soll es sich aber gar nicht stachelig, sondern außergewöhnlich geschmeidig anfühlen. 

Die Teppiche im EQXX bestehen vollständig aus Bambusfasern. Das schnell nachwachsende Material hat das Potenzial, alle auf Erdöl- und Tierbasis erzeugten Produkte zu ersetzen, bietet aber dennoch eine luxuriöse Optik und ansprechende Haptik. Da wetten wir doch glatt mal, dass das bei Mercedes demnächst öfter zu finden sein wird. 

Fast hätten wir es vergessen, die innovativen Materialien und die Leichtbaukonstruktion sehen nicht nur „Auf dem Papier“ gut aus, denn mit etwa 1750 kg Bruttogewicht steht der EQXX angesichts seiner Leistungsdaten im Vergleich ziemlich gut da. 

Neues Infotainment im Vision EQXX

Ein neues Concept Car verlangt auch immer nach einem neuen Infotainment und auch in dieser Hinsicht kann der Vision EQXX punkten. Ein durchgängiges Display über das gesamte Armaturenbrett mit einer Diagonale von 47,5 Zoll, also gut 120 Zentimetern, bietet reichlich Platz für Informationen. In der Breite bietet das Display in energiesparender Mini-Led-Technik mit 7680 Pixeln also gewissermaßen 8K-Auflösung. In der Höhe sind es 660 Pixel. 

Der durchgehende, 120 cm breite Bildschirm des Infotainments bietet eine horizontale Auflösung von fast 8.000 Pixeln

Und was wird sich auf diesem Displaygiganten abspielen? Nun, wir werden dort einem „Star Cloud“ Avatar begegnen, gewissermaßen der digitalen Reiseleiterin, der sich optisch an die Namensgeberin des Unternehmens, Mercedes Jellinek anlehnen soll. Er passt sich den Bedürfnissen des Fahrers an, kümmert sich um die Passagiere und macht die Fahrt zu einem luxuriösen Erlebnis. Das System verwaltet Informationen, um sicherzustellen, dass der Fahrer zum richtigen Zeitpunkt genau das bekommt, was er braucht.

Gemeinsam mit dem Navigationsexperten NAVIS-Automotive Systems Inc. (NAVIS-AMS) hat das Mercedes- Benz Team das erste Echtzeit-3D-Navigationssystem für einen Bildschirm dieser Größe entwickelt. Es bietet umfassende Zoom- und Scroll-Funktionen von der Satellitenansicht bis zu einer Höhe von zehn Metern in der 3D-Städtedarstellung. Damit bietet es dem Nutzer eine klare, präzise und intuitive Routenführung.

Der 3D-Navigationsbildschirm passt sich an die Art des angezeigten Inhalts an. Wenn der Fahrer zum Beispiel in einer Stadt unterwegs ist, hilft die abstrakte Visualisierung der umliegenden Gebäude bei der Orientierung in dicht befahrenen Straßen. Wenn er jedoch auf der Autobahn oder auf offener Straße fährt, verringert sich der Detailgrad, um einen besseren Überblick über die Strecke zu geben. So wird auch der Energieverbrauch des Displays weiter reduziert. 

Wegweisend: Die Technik des EQXX

Auch, wenn es sich beim Vision EQXX „nur“ um eine Studie handelt, sind die hier verwendeten Techniken doch wegweisend. Insbesondere die raum- und gewichtseffiziente Batterietechnologie wird auch kompakteren Fahrzeugen dabei helfen, noch effizienter und kostengünstiger zu werden. Ähnliches kann man auch über den zukunftsweisenden Leichtbau sagen. Projiziert man den hier gezeigten Technikmix in kompakte Fahrzeugkonzepte, dann landet man bei Gewichten und Verbräuchen, die klassischen Verbrennern die Schamesröte ins Gesicht treiben sollten. Wenn auch in diesen Klassen die Akkutechnik aus dem EQXX Einzug hält, dann landet man wahlweise bei sehr kostengünstigen und leichten Elektrofahrzeugen oder schafft es alternativ, auch in diesen genug Akku für lange Strecken unterbringen zu können. Also träumen wir doch einfach mal los.

Leider nur eine Studie. Wenn die Technik des Mercedes Vision EQXX ihren Weg in die Serie findet, dürfte es spannend werden