Die Kulisse des jüngsten Tokyo E-Prix könnte cineastischer kaum sein: Regen peitscht gegen die Flutlichtmasten, die nasse Strecke spiegelt Neonfarben, als Stoffel Vandoorne im Maserati den entscheidenden Pit Boost Sekunden früher setzt und sich von Startplatz 14 nach vorn katapultiert. Während der Belgier den ersten Lauf gewinnt, schlägt Oliver Rowland tags darauf zurück, holt für Nissan einen Heimsieg und unterstreicht seine Titelambitionen.

War das spannend. Der Double-Header in Tokyo bot wieder alles, was Formel E ausmachen kann und zusätzlich hatte noch der Wettergott seine Finger im Spiel. Nachdem am ersten Renntag wegen starken Regens keine Qualifikation stattfinden konnte und das Rennen zu einer Gischt-Tour ausartete, gab es zumindest am zweiten Tag solide Rennbedingungen.

Nach neun von 17 Meisterschaftsläufen führt Rowland das Fahrer-Klassement mit 161 Zählern an. Dahinter klafft eine 77-Punkte-Lücke zu Pascal Wehrlein (84 Punkte), gefolgt von António Félix da Costa (73), Taylor Barnard (69) und Jake Dennis (56). Ein komfortabler Puffer, aber längst kein Ruhekissen: 225 Zähler sind noch zu vergeben, und ein einziger Ausfall könnte die Verfolger wieder in Schlagdistanz bringen.

Nissan gegen Porsche – das engere Duell

In der Team-Wertung liegen die Japaner mit 172 Punkten nur 15 Zähler vor Porsche (157). Dass Rowlands Polster hier weniger ins Gewicht fällt, hat zwei Gründe: Erstens punktet Porsche mit beiden Fahrern konstant, zweitens sammelte Norman Nato für Nissan bislang nur elf Punkte. Kurz dahinter lauern Mahindra (99) sowie McLaren (90) – Belege dafür, dass das Gen3-Evo-Reglement Spielraum für unterschiedliche Entwicklungspfade lässt.

Gen3 Evo: Technikschub auf Knopfdruck

Mit Saison 11 erlebte die Serie die Feuertaufe des Gen3 Evo. Das überarbeitete Elektro-Monoposto katapultiert sich in 1,86 Sekunden von 0 auf 100 km/h, realisiert erstmals Allradantrieb dank eines 250-kW-Front- und 350-kW-Heckmotors und ist laut Simulation rund zwei Prozent pro Runde schneller als sein Vorgänger. Eine Top-Speed-Marke von 320 km/h und bis zu 600 kW Rekuperationsleistung setzen neue Effizienz-Benchmarks im Formelsport.

„Allrad verändert das Kräfteverhältnis“

Die ersten Rennwochen zeigen: Teams, die den zusätzlichen Frontmotor früh in die Fahrdynamik einbinden konnten – allen voran Nissan und Porsche – setzten sich häufiger ab. Mahindra verliert noch Zeit beim thermischen Management, McLaren glänzt auf winkligen Kursen mit agiler Einlenkphase. Weil das Mindestgewicht unverändert blieb, richtet sich der Fokus stärker auf Software-Strategien: Wer das Drehmoment beider Antriebsachsen am effizientesten verteilt, spart Energie und Reifen.

Taktische Revolution: Attack Mode trifft Pit Boost

Der Attack Mode bleibt als klassisches Überhol-Werkzeug erhalten. Neu ist der verpflichtende Pit Boost: Bei ausgewählten Rennen – Premiere war Jeddah am 14. Februar – müssen die Fahrer innerhalb eines 34-Sekunden-Stops (30 Sekunden zum Laden, 4 Sekunden als Sicherheitspuffer) 3,85 kWh Zusatzenergie in die Batterie laden. Die 600-kW-Schnellladung eröffnete in Tokio alternative Rennverläufe: Vandoornes Triumph zeigte, dass ein früh gezündeter Boost unter Gelb das Feld umkrempelt; andere Teams parken die Zusatzenergie für eine letzte Offensivrunde. Strafen drohen, wenn das Zeitfenster verpasst wird.

Der Fahrplan bis London

Shanghai (31. Mai/1. Juni) mit langen Geraden verlangt präzises Energiemanagement; Jakarta (21. Juni) stellt bei tropischer Hitze die Batterie-Kühlung auf die Probe. In Berlin (12./13. Juli) sorgt rauer Beton für hohen Reifenverschleiß, bevor das Saisonfinale in London (26./27. Juli) auf einem engen Hallenkurs stattfindet, auf dem Überholmanöver traditionell rar sind. Mit seinem aktuellen Vorsprung ist Oliver Rowland für den Rest der Saison schon ziemlich gut gerüstet, doch wer die Formel E verfolgt, weiß, welche Unwägbarkeiten den Rennverlauf und damit die Punkte beeinflussen können.

Ein technischer Defekt, eine Safety-Car-Lotterie oder ein verpatzter Pit Boost könnten die Karten neu mischen. Porsche arbeitet an Software-Updates für die Front-Motor-Strategie, Mahindra an effizienteren Batterie-Kühlkreisläufen. Zudem diskutiert die FIA, 2026 eine zweite Schnelllade-Sequenz pro Rennen einzuführen. Und mal ganz ehrlich, ideal ist doch maximale Spannung bis zum Schluss. Insofern freuen wir uns schon jetzt auf einen Showdown an der Themse.