Noch ist es eine Vision, der Blick auf ein Mobilitätskonzept der Zukunft. Doch das Showcar Audi AI:Me könnte durchaus als elektrisch angetriebener A3 der übernächsten Generation Realität werden. Von Wolfgang Schäffer
Warum eigentlich warten? Mit dieser Karosserie hätte der Wagen vermutlich ganz große Chancen, ein Hit zu werden. Diese Form hebt sich deutlich aus der Menge ab. Keilförmig steht der 4,30 Meter lange und 1,90 Meter breite Kompakte auf der Straße. Die weit herausgezogenen Kotflügel mit 23-Zoll-Rädern betonen ebenso Kraft und Emotionalität wie die extrem taillierten Flanken sowie die muskulös herausgearbeiteten Seitenschweller. Außergewöhnlich gestaltet hat das Designteam um Chef Marc Lichte zudem die Fenstergrafik mit einem Knick in der Mitte. Eine scharfe Linie zieht sich von den Scheinwerfern in Richtung A-Säule, setzt sich über Seiten- und Heckscheibe fort, umspannt so das Fahrzeug wie eine Klammer.
Überhaupt das Heck: Dessen Gestaltung lässt Erinnerungen an den A2 wach werden. Der aber war in einer Klasse tiefer angesiedelt und wird aller Voraussicht nach keinen Nachfolger mehr bekommen. Ähnlich wie im A2 sind im jetzt gezeigten AI:Me die Platzverhältnisse außergewöhnlich gut. Schon der Einstieg ist komfortabel. Grund dafür sind die großen, gegenläufig öffnenden, vorn und hinten angeschlagenen Seitentüren. Für Showcars eine immer wieder gerne bemühte Variante. Im Innenraum schließlich beeindruckt ein großzügiges Raumgefühl sowie eine enorme Kopffreiheit.
„Der Radstand von 2,77 Metern und die Höhe von 1,52 Metern ermöglichen Interieur-Abmessungen, die eine Klasse höher anzusiedeln sind“
Die Architektur des elektrischen Antriebs erlaubt eben kurze Überhänge und einen großvolumigen Innenraum ohne Kardantunnel. Für die Insassen bedeutet das unterm Strich jede Menge Platz. Eine Vielfalt an Konfigurationen für Sitzposition und Ablagemöglichkeiten steht zur Verfügung. Bei den meisten Fahrten werden ausschließlich die vorderen Einzelsitze genutzt Bei Bedarf können jedoch zwei weitere Personen auf der hinteren Bank Platz nehmen.
Diese Bank zeigt ebenso wie andere Bereiche des Passagierabteils, Teile der äußeren Linienführung sowie die Ausrichtung auf automatisiertes Fahren eine Verwandtschaft zum Audi AIcon auf. Die Studie für automatisierten Langstreckenbetrieb hatte 2017 auf der IAA in Frankfurt ihre Premiere. Um die Nähe der beiden Showcars zu demonstrieren, war der AIcon jetzt neben dem AI:Me auf der Audi-Bühne in Shanghai zu sehen.
Beide Konzeptautos haben außerdem das AI im Namen gemeinsam. Die beiden Buchstaben verweisen bei Audi auf eine breite Palette innovativer Technologien im Feld der Mobilität. „Audi AI ist die Chiffre für eine Vielzahl elektronischer Systeme, die den Fahrer entlasten und ihm zugleich neue Möglichkeiten für die Zeit bieten werden, die er im Auto verbringt. Audi AI nutzt dafür auch Strategien und Technologien aus dem Bereich künstlicher Intelligenz sowie des maschinellen Lernens. Und Audi AI verbindet Fahrzeugintelligenz, die erst das automatisierte Fahren möglich macht“, erklärt ein Sprecher der Marke mit den vier Ringen. Das ME im Showcar von Shanghai soll zusätzlich die Verbindung von AI und dem Ich des Nutzers betonen, da die AI-Systeme lernfähig und mitdenkend agieren. Audi-Modelle der Zukunft, so die Vorstellung der Entwickler, können kontinuierlich mit dem Umfeld und ihren Passagieren interagieren und so besser als je zuvor auf deren Bedürfnisse eingehen.
„Für die visuelle Ausgabe des Infotainmentsystems sind VR-Brillen an Bord“
Das gilt vor allem auch mit Blick auf das automatisierte Fahren. Der Audi AI:ME ist für den Einsatz in der Stadt und das Fahren auf dem so genannten Level 4 konzipiert. Auf einer international standardisierten Skala für die zunehmende Automatisierung ist dies die zweithöchste Stufe. Systeme mit Level 4 benötigen keine Unterstützung des Fahrers mehr, sind jedoch auf einen bestimmten Funktionsbereich limitiert, etwa die Autobahn, oder auch ein besonders ausgerüstetes Areal in Innenstädten. Hier kann der Fahrer die komplette Fahraufgabe an das System übergeben. Er übernimmt erst wieder, wenn das Auto den fürs vollautomatisierte Fahren definierten Bereich verlässt.
Anders als der stets voll autonom fahrende AIcon – ein Fahrzeug mit Level-5-Funktion – verfügt der AI:ME aus diesem Grund über Lenkrad und Pedalerie. Diese Bedienelemente verschwinden nahezu komplett hinter einer Ablage mit einer Oberfläche aus offenporigem Walnussholz, wenn der Wagen im Level-4-Modus unterwegs ist. Überhaupt soll der Innenraum für die Insassen nicht mehr einfach nur als Transportmittel erlebbar sein, sondern als luxuriös gestaltetes Ambiente mit zahlreichen Hightech-Angeboten. So sind beispielsweise für die visuelle Ausgabe des Infotainmentsystems VR-Brillen an Bord. Internetnutzung, Filme schauen oder sogar interaktives Gaming beschreibt Audi als Möglichkeiten der Zukunft.
Bei Visionen dieser Art rückt die Bedeutung des Antriebs schon fast in den Hintergrund. Erwähnt sei dennoch, dass der AI:ME von einem permanent erregten Synchronmotor über die Hinterachse angetrieben wird. Bei Bedarf sind bis zu 170 PS abrufbar. Da das Fahrzeug gezielt auf den Einsatz in der Stadt zugeschnitten ist, komme es weniger auf hohe Reichweiten als auf eine gut nutzbare Einsatzzeit ohne Ladestopps an. Der Wagen werde sich überwiegend zwischen Tempo 20 und 70 bewegen, so die Prognosen. Folglich haben die Ingenieure auf eine einfache, dafür jedoch leichte Basis-Konfiguration zurückgegriffen. Eine Batterieeinheit mit einer Speicherkapazität von 65 Kilowattstunden reiche für diese Anforderungen. Vor allem auch, da das Gewicht des Autos niedrig, die Bremsrekuperation hoch und der Energieverbrauch moderat sei.