Was hat ein Elch mit dem Sicherheitssystem im Auto zu tun? Im Prinzip rein gar nichts. Und doch ist die Einführung des Elektronischen Stabilitätsprogramms (ESP) auf den so genannten  Elchtest zurückzuführen. Im Oktober vor 25 Jahren nämlich kippte die frisch eingeführte Mercedes A-Klasse im Test bei einem schnellen Ausweichmanöver um – in Schweden. Dort kann nun einmal ein Elch auf der Straße stehen. Wäre die A-Klasse bei einem Test in Irland gekippt, würden wir heute vielleicht von einem Schaftest sprechen. Andere Länder, andere Tiere, die plötzlich auf der Fahrbahn sein können. Wie dem auch sei, der Elchtest hat auf alle Fälle dafür gesorgt, dass die Autos seither deutlich sicherer ausgestattet sind als zuvor. Denn das ESP wird inzwischen in jedem Pkw verbaut, ist seit 2011 sogar gesetzlich vorgeschrieben für alle Neuzulassungen von Pkw in Europa. 

Damit selbstverständlich ebenso für E-Autos. Bei denen kommt dem ESP eine ganz besondere Bedeutung zu. Schließlich stabilisiert ESP das Fahrzeug durch gezielte und blitzschnelle Bremseingriffe an einzelnen Rädern. Elektrofahrzeuge reduzieren die Geschwindigkeit ebenso wie Hybridmodelle allerdings nicht nur über das Bremspedal, sondern erst einmal über das Rekuperieren. „Dabei schaltet der Elektromotor auf Generatorbetrieb um. Die Räder übertragen die Bewegungsenergie über den Antriebsstrang zum Generator. Der dreht sich und wandelt dadurch einen Teil der Bewegungsenergie in elektrische Energie um. Das Bremsmoment des Elektromotors, das bei der Energieerzeugung entsteht, verzögert das Fahrzeug. Sollte mehr Bremsleistung nötig sein, wird zusätzlich über die Radbremse verzögert. Die Aufteilung zwischen Generator und Bremssystem sowie die Stabilität des Fahrzeugs, auch bei hoher Rekuperation, muss  das Bremsregelsystem immer unter Kontrolle haben“, erklärt  Christian Böhm, zuständig für Bremsregelsysteme & Fahrdynamikfunktionen.  Gerade auf nasser oder schneeglatter Fahrbahn sei es immens wichtig,  die richtige Abstimmung und Auslegung zu finden. „Wir sind da besonders stolz auf das 2020 in die Serie gebrachte TwoBox-System. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus ESP und einem elektromechanischen Bremskraftverstärker, der vor allem für Elektroautos unverzichtbar ist. Hier fehlt der sonst übliche Unterdruck, der vom Verbrennungsmotor erzeugt und zum herkömmlichen Bremskraftverstärker geleitet wird. Der schnelle Bremsdruckaufbau des Systems ermöglicht unter anderem einen kurzen Bremsweg bei einer automatischen Notbremsung“, betont Böhm. Je nach Fahrsituation könne so automatisch der flexible Wechsel zwischen hydraulischem Bremsen und Rekuperation gesteuert werden , um gleichwohl  immer die beste Energierückgewinnung zu erzielen. Dadurch sei häufiger die maximale Rekuperationsleistung zu erreichen als mit einem konventionellen, rein hydraulischen Bremssystem. Auf der Nassfläche mit unterschiedlichen Fahrbahneigenschaften unter den rechten und linken Rädern (einmal Asphalt, einmal glatte Fliesen) wird deutlich, wie souverän sich der Mercedes mit dieser Technik – in diesem Fall der EQE – ohne große Lenkeingriffe in der Spur halten lässt. 

Böhm weist in diesem Zusammenhang auf die 2020 von Mercedes in Serie gebrachte Kombination aus Bremsregelsystem und Hinterachslenkung hin. „Dieser neuartige Ansatz in der Regelungstechnik ermöglicht die aktive Darstellung des gewünschten Fahrverhaltens im Normalbereich und die Stabilisierung des Fahrzeugs im Grenzbereich.“ Der Experte ist sicher, dass hier noch großes Potential für die Zukunft liege. Um das auszuschöpfen, will Mercedes die Software für die Bremsregelsysteme mehr und mehr selbst entwickeln. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt in Sachen Sicherheit bei E-Fahrzeugen ist der Schutz und die Crashsicherheit der Hochvoltbatterien. Einerseits dürfen die im kompletten Fahrzeugboden untergebrachten Akkus keinen Schaden nehmen. Auf der anderen Seite muss das HV-System – HV-Komponenten sind außer der Batterie alle Komponenten mit einer Spannungslage von mehr als 60 Volt – bei einem schweren Unfall sekundenschnell abgeschaltet werden. 

Da im Vorderwagen ein großer Motorblock zum Auffangen eines Teils der Aufprallenergie fehlt, müssen hier andere Strukturen geschaffen werden. Am Beispiel des EQS wird deutlich, dass Längs- und Querträger entsprechend verändert beziehungsweise weitere eingezogen wurden. Ganz wichtig ist aber der Schutz bei einem Seitencrash und dabei vor allem bei einem denkbaren Aufprall gegen einen Baum, einen Laternenmast oder eine Hausecke. Dann nämlich konzentriert sich die Crashenergie auf einen relativ kleinen Bereich. Um den Akku auch bei diesem Szenario zu schützen, wurden die Seitenschweller verstärkt. Das Batteriegehäuse ist zudem so konzipiert, dass Verformungen ausgeschlossen werden können, verspricht Mercedes. Selbst die Zellen im Akku seien so angesiedelt, dass es bei massiven äußeren Krafteinwirkung auf das Auto kein Problem gebe.

Dass die stromführenden Komponenten bei E-Autos nach einem Unfall eine Gefahrenquelle bedeuten können, ist nachvollziehbar. Zur Vermeidung von Stromschlägen und hochenergetischen Kurzschlüssen hat Mercedes ein mehrstufiges Hochvolt (HV)-Sicherheitskonzept entwickelt.   Erkennen die Sensoren im Fahrzeug einen gefährlichen Aufprall, schaltet das Pyrofuse-Sicherungssystem das HV-System innerhalb von fünf Sekunden automatisch ab. Außerdem, so betont der Hersteller, achten die Konstrukteure darauf, dass alle HV-Elemente so weit wie möglich in geschützten Fahrzeugbereichen positioniert werden. 

Einen besonderen Schutz gibt es zudem für Fahrer und Beifahrer bei einem möglichen Seitencrash. Zwischen den beiden Vordersitzen ist unsichtbar für die Insassen das Airbag-Steuergerät platziert. In dem kleinen gelben Kasten ist jede Menge Technologie untergebracht. So wird hier registriert, wenn die seitliche Radarüberwachung des Autos einen möglichen Seitencrash erkennt. Um die Person auf dem entsprechenden Vordersitz ein wenig aus der Gefahrenzone zu bringen, wird ein in die Sitzwange eingelassener Luftschlauch aufgeblasen, der den betroffenen Mitfahrer ein paar Zentimeter in Richtung Innenraum schubst. Das gute daran. Kommt es nicht zu dem befürchteten Unfall oder lediglich zu einem leichten Touchieren, muss lediglich eine Patrone ausgewechselt werden. Der im Sitz nicht zu erkennende Luftschlauch lässt sich anders als ein herkömmlicher Airbag mehrfach nutzen.