Der EV9 ist das größte Fahrzeug auf der 800 Volt Plattform des Konzerns und sicherlich eines der optisch polarisierendsten. Wir haben mit dem KIA EV9 gut 1.500 km zurückgelegt und sind sehr angetan.

Der Sinn unserer Langstreckentests ist es, die jeweiligen Fahrzeuge im deutschen Alltag zu beurteilen. Bei den üblicherweise in Südeuropa stattfindenden Fahrvorstellungen findet man ja meist ein eher untypisches Fahrprofil vor. Darum haben wir den Kia in einem guten Mix aus Stadtverkehr und Autobahn genutzt, letztere gerne auch mal mit voller Leistung, denn der Antrieb ist einfach zu verlockend.

Macht Sinn

Doch beginnen wir mit den „vernünftigen“ Eigenschaften. Das Platzangebot im Innenraum ist gigantisch und das trifft auch auf Ablagen und ähnliches zu. Die großen Cupholder, ein weiteres Staufach sowie eine große Schublade für die Fondpassagiere werden durch Türtaschen komplettiert, die allerdings vergleichsweise eng geschnitten sind.

Unser Testfahrzeug war mit sechs Sitzen ausgestattet, die beiden Einzelsitze in der zweiten Sitzreihe lassen sich auf Wunsch um 180° drehen, sodass sich die Hinterbänkler hervorragend miteinander unterhalten können. Die dritte Sitzreihe ist motorisch umklappbar, was das Verstauen von Einkäufen zum echten Vergnügen macht.

Die Vordersitze sind komplett elektrisch verstellbar und bieten Sitzheizung und -kühlung mit je drei Stufen, das Lenkrad lässt sich in zwei Stufen temperieren. Der Fahrer hat im EV9 zudem eine Massagefunktion zur Auswahl, die diesen Namen wirklich mal verdient.

Macht schlau

Das Infotainment ist – für ein Werkssystem – auf der Höhe der Zeit. Die Navigation funktioniert tadellos und plant bei längeren Strecken auch gleich die Ladestopps mit ein. Das Soundsystem kann sich mehr als hören lassen, es gehört definitiv zu den besseren, die uns in letzter Zeit untergekommen sind. Dazu kommen USB-C-Ports in Hülle und Fülle, auch für die Hinterbänkler und ein Qi-Ladepad, dass dank einer Erhöhung auch Telefone mit herausragenden Linsen (camera bumps) tadellos funktioniert. CarPlay und Android Auto sind an Bord und unser Testfahrzeug hatte einen umschaltbaren, elektronischen Innenspiegel. Während wir tagsüber durchaus die konventionelle Variante bevorzugen, ist die Kombi aus Spiegeldisplay und hinterer Kamera bei Dunkelheit ein echter Gewinn.

Die Assistenzsysteme sind grundsätzlich immer ein Sicherheitsgewinn. Die eher lästigen Funktionen wie beispielsweise die Warnung bei Geschwindigkeitsüberschreitungen, lassen sich aber schnell abschalten. Im KIA kann man dazu die frei belegbare Funktionstaste im Lenkrad bzw. unter dem Touchscreen so belegen, dass man direkt in das Menü mit den Assistenzsystemen gelangt. Apropos Touchscreen: Wer zur Bedienung den Handballen auf der Bedienelementleiste darunter ablegt, gelangt schnell mal in ungewollte Menüs. Hier ist es besser, die Hand oben am Bildschirm abzustützen.

Macht Spass

Kommen wir zum Wichtigsten, dem Fahren. Aktuell gibt es den EV9 entweder mit der Topmotorisierung, sprich Allradantrieb und 283 kW (in alter Währung also 385 PS) oder als Hecktriebler mit 150kW, also 204 PS. In beiden Fällen schlummert im Fahrzeugboden eine Batterie mit 99,8 kWh. Wir hatten die üppig ausgestattete Launch Edition im Test, die statt der serienmäßigen „nur“ 600 Nm sogar 700 Nm Drehmoment bietet.

Bringt das was? Ja, die Beschleunigung auf 100 km/h gelingt dann in 5,3 statt 6,0 Sekunden. Für ein rund 2,7 Tonnen schweres Auto ist das beachtlich. Bei 200 km/h ist der Kia dann elektronisch eingebremst und erliegt auch bei dieser Geschwindigkeit unfassbar gut auf der Straße. Überhaupt kann der Koreaner viel mehr, als man einem Gefährt dieser Dimensionen zutraut. Längs- und Querbeschleunigung sind beachtlich bis atemberaubend, was sicherlich auch der gut 566 kg schweren Batterie im Unterboden zu verdanken ist.

Überhaupt ist der EV9 ein echtes Spaßmobil. Die schiere Antriebsleistung geht mit einem fabelhaften Handling einher, sodass man stets flotter unterwegs ist, als man dies eigentlich geplant hatte. Bei leerer Autobahn kann man auch bei mittleren Tempi lässig mit einem Tritt auf das Fahrpedal den nächsten Spurt initiieren und gehört definitiv zu den schnelleren Verkehrsteilnehmern auf unseren Straßen. Die Strafe dafür folgt allerdings auf dem Fuße, denn damit sind wir beim Thema Verbrauch.

Verbrauch von moderat bis hoch

Auf dem Papier stehen die großen KIAs ganz gut da. Der Hecktriebler ist mit 20,2 kWh Verbrauch auf 100 km gelistet, der Allradler mit 22,3 und die von uns gefahrene GT-Variante mit noch mehr Biss mit 22,8. Und das bekommt man auch irgendwie hin. Aber eben nur, wenn man sich wirklich beherrscht, zumindest bei den Randbedingungen, die zu unserem testzeitpunkt vorherrschten. Temperaturen zwischen 3 und selten mal 15 Grad sind eben noch nicht das Optimum für die Batterie und das macht sich bemerkbar.

Verbrauch im Test
Gesamt:26,8 kWh/100 km
City:20,0 kWh/100 km
Landstraße:20,5 kWh/100 km
Autobahn 100 km/h:23,0 kWh/100 km
Autobahn 120 km/h:26,2 kWh/100 km

Bei flotter Autobahnfahrt tendiert die Verbrauchsanzeige eher in Richtung 30 kWh. Mit Bleifuß können auch Werte bis 40 kWh/100 km im Display auftauchen. Doch es sei nochmals gesagt, man bekommt einen entsprechenden Gegenwert in Form von Fahrvergnügen und verkürzter Reisezeit.

„Bei flotter Autobahnfahrt tendiert die Verbrauchsanzeige eher in Richtung 30 kWh. Doch es sei nochmals gesagt, man bekommt einen entsprechenden Gegenwert in Form von Fahrvergnügen und verkürzter Reisezeit“

Außerdem sind dank der 800-Volt-Technik die Ladezeiten durchaus verschmerzbar, wenn die Infrastruktur das hergibt. Die maximal angegebene Ladeleistung von 210 kW an DC haben wir im Test zwar nicht erreicht, aber Werte um die 200 standen schon öfter im Display der Ladesäulen und das auch bis zu höheren SoC-Werten von 70, teils sogar 80 Prozent hinauf. Dann bricht der Ladestrom aber mitunter merklich ein und man kann sinnvollerweise lieber einen weiteren Ladevorgang einplanen, als noch weiter an der Säule auszuharren. KAI gibt die Ladedauer von 10 auf 80 Prozent mit 24 Minuten an, was absolut realistisch ist, wenn die Batterien vorher auf Temperatur gebracht wurden. Das gelingt aktuell allerdings nur, wenn man die Bordnavigation zum Ansteuern der Station nutzt. Händisch geht dies noch nicht. Wir sind aber guter Hoffnung, weil der Konzernbruder Ioniq 5 von Hyundai eine entsprechende Funktion gerade verpasst bekommen hat.

An Wallboxen und innerstädtisch lädt der EV9 „nur“ mit 11 kW, woraus Ladezeiten von gut 9 Stunden resultieren. Das passt also über Nacht an der heimischen Wallbox, nicht aber für den Einkauf in der Innenstadt. Im Gegenzug kann man sich freuen, dass das Ladekabel seinen Platz im Frunk findet, der sich über die Fernbedienung öffnen lässt. Großes Lob!

Gute Wahl?

Man liest es aus diesem Artikel wohl heraus, der EV9 hat uns gut gefallen. Das liegt neben den technischen Daten vor allem am Design. Die Zielgruppe? Alle mit viel Platzbedarf oder auf der Suche nach einer hohen Sitzposition. Die Wettbewerber kommen aus München oder Sindelfingen, in britischen Gefilden arbeitet man ja noch an der Elektrifizierung. Im Vergleich zu all denen dürfte der Kia die günstigere Wahl sein. Einziger Wermutstropfen: In den Genuss der 0,25 Prozent-Regelung kommen Dienstwagenfahrer aufgrund des Preises nicht. Den EV9 muss man (aktuell noch) mit 0,5 Prozent versteuern.

Infos:
Fahrzeugkategorie:SUV
Typ:batterieelektrisch
Antrieb:Allradantrieb elektrisch
283 kW
Batteriekapazität:99,8 kWh
Reichweite / Ladegeschwindigkeit
Reichweite (WLTP):505 km
Ladeleistung AC:11 kW
Ladezeit AC auf 100%:ca. 540 min
Ladeleistung DC:210 kW
Ladezeit DC 20 auf 80%:ca. 24 min
Ladestecker/Position:CCS / hinten rechts
Performance
Höchstgeschwindigkeit:200 km/h
0-100 km/h:5,3 s
Verbrauch WLTP:22,8 kWh/100 km
Verbrauch im Test:Siehe Oben
Technische Daten
Abmessungen:5015 x 1980 x 1780 mm
Kofferraumvolumen:333 l (mit 3. Reihe) 828 l bis 2393 l
Leergewicht / Zuladung:2648 – 2749 kg / 542 kg
Anhängelast / Stützlast2500 kg / 125 kg
Kaufpreis inkl. Akku:ab 82.380 Euro