Citroën hat mit seinen Autos schon oft Mut bewiesen. Sei es in Sachen Design, aber auch in technologischer Hinsicht. Nach dem ultraminimalistischen und leider nur 45 km/h schnellen Ami folgt nun die Studie Oli, die zeigen will, mit wie wenig Auto sich heute Mobilität realisieren lässt. Kurzes Fazit: Wir sind begeistert.
Es ist ein Teufelskreis: Mehr Auto verlangt nach mehr Antriebsleistung und beim Elektroauto damit auch nach einer größeren Batterie. Diese ist naturgemäß dann auch schwerer, womit der ersehnte Vorteil schon wieder zu Teilen hinfällig ist. Aus diesem Dilemma möchte Citroën ausbrechen. Wie, das zeugt die Studie Oli, die die Franzosen vor gut eineinhalb Montan in Paris zeigten. Oli ist nicht nur in Sachen Design radikal, auch bei den Materialien und der Konstruktion ließ man nichts unangetastet. Der Name ist übrigens ein Wortspiel, denn eigentlich steht er für „All e“, also alles elektrisch.
Hello Oli
Der Oli soll zeigen, was passieren kann, wenn ein Hersteller einen völlig anderen Ansatz wählt. Das gilt schon auf den ersten Blick für die Optik. Die Studie kommt in einem absichtlich übertriebenen Design daher, dass ein wenig an brachiale Offroad-Vehikel erinnert, obwohl es sich bei dem Franzosen eigentlich um ein absolutes Alltagsgefährt handelt. Die gegenläufig öffnenden Türen sind vermutlich eher eine gestalterische Spielerei, die von Pickups inspirierte Ladefläche hingegen wäre ein spannendes Serienmerkmal, nicht nur für den typischen, aktiven Sportler, den Marketingstrategen so gerne in ihren Autos sehen. Das Dach kann man sogar als Sitzfläche nutzen. Was Väter dem Nachwuchs früher strengstens verboten haben, soll hier mehr Spaß im Alltag bieten.
Citroën – historisch ein bisschen anders
Designs, die „anecken“ kennt man von Citroën. Schon vor dem ikonischen DS gab es Autos, die für ihr Segment eher ungewöhnlich aussahen, speziell bei den kompakten Fahrzeugen der Marke. Den größten Bekanntheitsgrad dürfte da der 2CV haben, auch liebevoll Ente genannt. 1949 eroberte Citroën mit dem extrem günstigen und minimalistischen Entwurf die Herzen der Kunden. Dann gab es beispielsweise den Ami 6 in den frühen 60er Jahren. Sein außergewöhnliches Heck traf sicherlich nicht den Geschmack der Massen. Und das Erbgut von solchen Entwürfen findet sich ganz klar auch im Oli wieder.
Clever konstruiert
Der Oli besteht aus möglichst vielen Gleichteilen, das hat der Hersteller mit dem Ami schon so gemacht. Das reduziert nicht nur die Herstellungskosten, sondern bietet auch später die Möglichkeit günstigere
Ersatzteile zu bekommen. Die Windschutzscheibe steht vertikal, weil sie so den kürzesten Abstand zwischen Ober- und Unterseite hat und die geringste Menge an Glas benötigt wird. Neben dem geringeren Gewicht und der geringeren Komplexität setzt die kleinere Scheibe die Insassen weniger der Sonneneinstrahlung aus. Citroën schätzt, dass der Strombedarf der Klimaanlage des Citroën Oli um bis zu 17% gesenkt werden kann. Wenn man davon ausgeht, dass der Betrieb einer Klimaanlage die Reichweite um ca. 5-10% minimiert, ist das ein bemerkenswerter Gewinn.
Das Konzept-Fahrzeug misst 4,20 m in der Länge, 1,65 m in der Höhe und 1,90 m in der Breite. So wirkt er zwar wuchtig, ist aber weder schwer noch sperrig – mit einem Fahrzeuggewicht von rund 1.000 kg ist er deutlich leichter als die meisten vergleichbaren Kompakt-SUVs, ja sogar leichter als die meisten konventionellen Fahrzeuge. Das geht natürlich nur durch Verzicht sowie den Einsatz clever ausgewählter Materialien.
Clevere Materialwahl für wenig Gewicht
Faszinierend – dieses Auto besteht zum Teil aus Pappe. Allerdings nicht solcher, die man typischerweise in die Recyclingtonne entsorgen würde. Die flache Motorhaube, das Dach und die hintere Ladefläche wurden so entwickelt, dass sie ein geringes Gewicht, eine hohe Festigkeit sowie eine maximale Haltbarkeit miteinander vereinen. Sie bestehen aus recycelter Wellpappe, die zu einer wabenförmigen Struktur zwischen Glasfaser-Verstärkungsplatten geformt wurde, und wurden gemeinsam mit dem Partner BASF entwickelt. Diese Platten sind mit einem speziellen Harz beschichtet und lackiert, das macht sie leicht und tragfähig. Im Vergleich zu einer Stahlkonstruktion kann das Gewicht für diese Bauteile um bis zu 50 % reduziert werden und – schöner Nebeneffekt – Pappe kann auch nicht rosten.
„Pappe zwischen Glasfaser, das reduziert das Gewicht dieser Bauteile um 50 Prozent“
Ein anderes Detail: Die Sitze. Sie bestehen aus 80 Prozent weniger Teilen und bieten durch ihre Rückenlehnen aus Netzgewebe eine bestechend futuristische Optik. Natürlich sind sie aus recycelten Materialien, vor allem aber sind sie eben deutlich leichter als konventionelles Gestühl.
Fahrleistungen? Genug, nicht übertrieben
Durch die Gewichtsreduktion benötigt der vollelektrische Antriebsstrang nur eine 40-kWh-Batterie, um eine Reichweite von bis zu 400 km zu erreichen. Durch die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf 110 km/h zur Maximierung der Effizienz ist ein hervorragender Verbrauch von 10 kWh/100 km realistisch, und die Aufladung von 20% auf 80% dauert gerade mal 23 Minuten. Geladen wird Oli an der Motorhaube hinter dem nach oben beweglichen, neuen Firmenlogo.
Maximal Funktional
Weniger Gewicht, weniger Ausstattung, aber clevere Lösungen. Die Ladefläche eignet sich für den Transport vom Wochenendeinkauf bis zum Sportgerät. Auch ein Zelt passt auf die Ladefläche, die sich variabel vergrößern lässt. Dank seiner „Vehicle to Load“-Fähigkeit kann seine 40-kWh-Batterie dank einer Steckdosenleistung von 3,6 kW theoretisch ein 3.000-Watt-Elektrogerät etwa 12 Stunden lang mit Strom versorgen. Damit wird der Oli zum idealen Begleiter bei Festivals, Camping und Ausflügen aus dem Alltag.
„Bring Your Own Device – das Infotainment kommt vom Smartphone oder Tablet“
Anstatt einem Infotainmentsystem setzt der Hersteller bei dem Konzept auf „Bring Your Own Device“. Das Smartphone wird ans Fahrzeug angedockt – fertig. Vielleicht darf es auch ein Tablet für mehr Durchblick sein? In Sachen Entertainment und Navigation ist das heute bei vielen Nutzern ohnehin die bevorzugte Variante. Ob und wie man mit dieser Kombination dann Annehmlichkeiten wir eine Rückfahrkamera realisieren kann, bleibt zu beweisen. Für den Fahrer gibt es ein minimalistisches Cockpit mit essenziellen Infos wie der Geschwindigkeit und dem Batterieladezustand. Beide Anzeigen lehnen sich an die Lupendisplays alter Modelle an. Für die unverzichtbare Musikwiedergabe findet sich an den Enden des Armaturenbretts jeweils ein „angedockter“ tragbarer Lautsprecher. Und selbstverständlich kann man diesen herausnehmen und vor Ort nutzen.
Die Reaktion? Viel Liebe
Aber macht es Sinn so ein Konzept, was sich sicherlich nicht so einfach umsetzen lässt, auf die Räder zu stellen? Nun, es macht keinen Sinn, coole Materialien oder Designs zu entwickeln, die keinen Einfluss
auf zukünftige Serienfahrzeuge haben werden. Wir verweisen hier nicht nur auf das neue Logo der Marke, sondern vor allem auf die Goodyear Reifen, die Stoffe im Innenraum, die Wellpappe mit Harzbeschichtung von BASF.
Auf unserem YouTube-Kanal konnten wir den Oli schon direkt zur Vorstellung präsentieren und das Feedback war überwiegend positiv. Ein bezahlbares Fahrzeug mit geringem Gewicht, das trotzdem familientauglich ist – das spricht vielen Konsumenten aus dem Herzen. Klar, das Design polarisiert, doch auch hier gab es meist positive Kommentare.
„Der Citroën Oli ist ein Entwurf, der ruhig in Serie gehen dürfte. Gerne auch genau in diesem Design“
Wir in der Redaktion sehen das genauso. Oli ist ein Entwurf, der ruhig in Serie gehen dürfte. Gerne auch genau in diesem Design. Eine „entschärfte“ Variante in einem massenkompatibleren Look darf Citroën dann gerne für den Rest der Welt nachschieben, wir nehmen die Version mit Ecken und Kanten. Zeitgemäße Mobilität war schon oft auch ein optisches Statement und es wäre schade, die Umwelt nicht daran teilhaben zu lassen, dass hier eben nicht das übliche Standardgefährt vor ihnen her rollt.
Doch welche Chancen auf eine Umsetzung hat denn Oli? Citroën wird auch nicht von heute auf morgen alles ändern können, aber eine Diskussion anstoßen und die Frage stellen, wieviel Auto denn genug ist. Gleichzeitig möchte der Hersteller mit dem Konzept zeigen, wie man verantwortungsvolle, erschwingliche und unbeschwerte Mobilität für alle bieten könnte. Die Gesamtbetriebskosten reduzieren, Nachhaltigkeit leben und nicht nur denken, den Verbrauch reduzieren – unterm Strich sicherlich auch mit etwas Verzicht. Sind wir dafür bereit?